Atopische Bezirke

Dr. Andreas Kreul: Zu den fotografischen Landschaftsbildern von Georg Parthen



Es ist so gewesen. Es ist niemals so gewesen.

Das Dorf mitten im Wald irritiert, denn so idyllisch, scharf an und um einen dichten Waldrand, liegt kaum mehr ein Dorf. Ein Dorf ohne Zugangsstraße. Und dann die größtenteils freie Lichtung darüber; bei genauerer Betrachtung scheint sie eine gespenstische Spiegelung der Fläche des Dorfes zu sein, ohne die Spur physikalischer Einmischung zu offenbaren: der einbuchtende Weg unten am Dorfrand wiederholt sich auf der oberen Fläche; den isolierten Häusern ganz rechts, steht eine Einbuchtung auf dem Wiesenstück gegenüber. Kompositorisch stehen die wenigen Bäume und Sträucher auf der freien Wiese jener Zone entgegen, zwischen denen sich im Dorfbereich eine freie Wiesenfläche (nicht etwa ein Marktplatz) eröffnet. Doch bliebe es bei der bloßen Irritation, wir könnten getrost weitergehen; denn die erzeugte Wirklichkeit als Bild entgeht dem Elend der Illustration und stiftet eine neue Seherfahrung.

Die fotografischen Bilder von Georg Parthen setzen sich in ihrer ‚dokumentarischen‘ Darstellungsweise aus bis zu zwanzig Vorlagen zusammen, die er im digitalen Mittelformat aufnimmt. Diese werden anschließend bearbeitet, so daß eine gänzlich neue, stets jedoch plausible, ‚authentische‘ Bildwelt entsteht. Nicht Mängel der Natur werden re-touchiert, sondern es entsteht im Gegenteil eine gänzlich neue Landschaft aus der Verschränkung von fotografisch ‚Wirklichem‘ und ‚Erfundenem‘. Gerade deren Zufälligkeiten (Dachlandschaften, Wiesenverläufe, Baumstellungen) erscheinen nunmehr als Beweis der Echtheit der Landschaft. Das Zufällige der ‚Natur‘ im neuen Bild ist hier im wahrsten Sinne des Wortes ein ‚kalkulierter Zufall‘. Das Dorf, die Insel, die Galerie müssen soviel geläufige Unbestimmtheit bereithalten, damit herankommende Empfindungen ihnen als Double der Dinge Glauben schenken. Erst bei der näheren Betrachtung als Bild (und eben nicht bloß in einer lexikalischen Identifizierung) eröffnen sich Reflexionen, die das Unwahrscheinliche in der fotografischen Präzision mit dem Wahrscheinlichen des Gegenstandes in der neuen Seherfahrung überbietet.

So muten die geodätischen Kuppeln wie die Dymaxion-Erfindungen von Richard Buckminster-Fuller (1895–1983) an und sie scheinen aus der den Bergkuppeln nachgerade emporzuquellen – nur das diese großartigen Kuppeln (sie erinnern ‚von Ferne‘ an den neuen botanischen Garten im englischen Boldelva) auf keinem Berg so zu sehen sind. Dagegen eröffnet ihre potentielle Präsenz die nie zuvor gemachte Erfahrung einer Landschaft mit Gewächshäusern.
Und auch für das Plateau erscheint dessen topographische Einlösung fraglich, denn für die Belichtung desselben in Kontrast zu dem abfallenden (aber sich nicht wirklich vertiefen wollenden) Hang mit seiner ‚zufälligen‘ Baumverteilung, steht kaum ein realer Naturraum zur Verfügung. Kein Stift der Natur kann dies so wiedergeben, wohl aber derart digital erarbeitete Bilder. Das neue, gleichsam ‚gesamplete‘ Bild vermag damit mehr zu geben, zu öffnen, als die alltägliche Vernunft verlangt.
Die Vernunft erweckt Erwartungen, die die neuen Bilder – wie früher die Gemälde – immer zu überbieten wissen, ohne daß der dünne Faden zwischen Abbildung und Idealisierung reißt. In diesem magischen Zwischenzustand, in diesen perfekten Augenblicken kann sich beim Betrachter so etwas wie ein subjektiver ‚Weltmoment‘ der Landschaft eröffnen, der jene Toleranz zwischen äußerer Verläßlichkeit und innerer Imagination hält.

Der bildnerische Rückgriff Georg Parthens auf die Landschaft kann zufällig, subjektiv motiviert sein: im Kontext der Geschichte dieser Bildgattung ist er jedoch äußerst sinnfällig, nimmt doch die Landschaftsmalerei seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts – gleichzeitig mit der Erfindung der Fotografie – einen herausragenden Platz für eine Vielzahl von malerischen Innovationen (Erschließung neuer Bildwelten und Genres, koloristische Experimente an der Grenze zur Abstraktion, Impressionismus) in der Kunst ein. Die Landschaft war das große Experimentierfeld für Künstler, nicht zuletzt weil sich mit ihr das aufkommende bürgerliche Subjekt am besten spiegeln konnte.

Dieses reflexive Moment, das die Natur als Rohzustand, die Landschaft aber als eine durch den fühlenden Menschen erblickte und diese als Teil seiner selbst zurückblickend gegenwärtig ist, bleibt die Leistung von Landschaftsdarstellungen. So gesehen sind die nie zuvor gesehenen Landschaften von Georg Parthen Teil einer neuen, vom Betrachter erst ‚bei sich‘ zu entdeckenden Reflexion über die zu erfahrene Landschaft und das Bild.

Es ist so gewesen. Es ist niemals so gewesen.